Engagiert, kompetent und mit Fingerspitzengefühl begleitet Wolfgang Zecher seit vielen Jahren Menschen mit Demenz. Diese Begleitung ist derzeit besonders wichtig, sagt der Würzburger Altenheim- und Klinikseelsorger. Denn Demenzkranke sind in einer äußerst schwierigen Situation.
Früher waren sie, wie viele von uns heute, in ihren Beruf eingespannt. Sie haben Kinder erzogen, engagierten sich in ihrer Freizeit in der Kirche oder in einem Verein. Dann, im Alter, ließ allmählich das Gedächtnis nach. Die Welt wurde immer verwirrender. Hobbies und Interessen mussten sie aufgeben. „Dennoch bleiben Menschen mit Demenz in allererster Linie Menschen“, sagt Wolfgang Zecher. An erster Stelle steht der Mensch. Davon, dass er krank ist, spricht erst das zweite Wort.
Sie haben keine Lobby
Die Pandemie beutelt Gastronomie und Einzelhandel, lässt viele um ihren Arbeitsplatz bangen, stürzt in seelische Krisen. „Jedes individuelle Schicksal hat gerade sein eigenes Gewicht“, wägt Zecher ab. Wobei es beim zweiten Blick Unterschiede gibt: „Menschen mit Demenz zum Beispiel hatten schon vor der Corona-Krise wenig Stimme.“ Das kommt nicht von ungefähr, werden sie doch durch ihre Krankheit vieler Möglichkeiten beraubt, auf ihre Anliegen hinzuweisen. Auch Angehörige sind meist viel zu stark belastet, als dass sie Lobbyarbeit betreiben könnten.
Wie das ist, wenn Regeln plötzlich nicht mehr so leicht zu durchschauen sind, erleben derzeit auch sonst viele Bürger angesichts des politischen Regulierungswirrwarrs. Was gilt heute? Was ist nun erlaubt? Was nicht? Für Menschen mit Demenz ist diese Orientierungslosigkeit Alltag. Im vertrauten Umfeld kommen sie meist noch ganz gut klar. Wie schwierig die Situation jetzt für sie im Krankenhaus ist, erlebt der Seelsorger täglich: „In manchen Fällen bekommt die Demenz noch mal einen Schub, vor allem dann, wenn bei einer Operation eine Vollnarkose nötig ist.“ Und es keine Familienmitglieder gibt, die sie im Spital begleiten können.
Kaum sichtbar
Eine Demenz kann jeden treffen, auch die, die einst hochbegabt waren und intellektuell brillierten. Das erfährt Zecher immer wieder, wenn er als Seelsorger mit demenziell veränderten Männern und Frauen spricht. Der Theologe erinnert sich an eine Französischlehrerin „Sie konnte trotz ihrer Demenz immer noch Französisch sprechen.“ Wie sich eine Demenz konkret auswirkt, hängt nach Zechers Erfahrungen nicht zuletzt von der psychischen Grundkonstellation ab.
War jemand sein Leben lang sehr ängstlich, kann diese Angst auch bei einer Demenzerkrankung stark zum Tragen kommen. Doch wer zu normalen Zeiten durch die Würzburger Innenstadt schlendert, trifft kaum einmal auf jemand, bei dem zu vermuten steht: Dieser Mensch leidet an einer Demenz. Auch Veranstaltungen in Pfarreien besuchen Erkrankte selten. Das ist schlecht – denn wie sollen Offenheit und Toleranz ihnen gegenüber wachsen, wenn man sie fast nie zu Gesicht bekommt? Zecher setzt sich daher seit langem dafür ein, Orte der Begegnung zu schaffen. Zu Nicht-Corona-Zeiten bietet er auch Fortbildungen über „Demenzsensible Pastoral“ an.
Personalabbau
Man dürfe nicht ignorieren, dass hochgradig desorientierte Senioren nach wie vor ein reiches Innenleben haben, sagt der Altenheimseelsorger. Er erlebt ihre hohe Emotionalität in seiner pastoralen Arbeit ständig. Zum Beispiel in Gottesdiensten im Altersheim. Einmal beobachtete er, wie einem demenziell veränderten Katholiken Tränen in die Augen traten, als das Lied „Großer Gott, wir loben dich“ angestimmt wurde. An irgendetwas erinnerte sich dieser Herr. An etwas Schmerzliches, oder vielleicht auch an etwas sehr Schönes. Aus einer versunkenen Welt.
An Demenz Erkrankte können „noch sehr lange aktiver Teil der Gesellschaft bleiben, wenn die Gesellschaft sich darauf einstellt“. sagte Bundesministerin Franziska Giffey im Herbst. Eben dafür setzt sich Zecher ein. Mit ihm taten dies bisher viele aus der pastoralen Arbeit in der Diözese. Doch hier tut sich ein großes Problem auf: „Wir werden bis 2030 altersbedingt ein Drittel unseres pastoralen Personals verlieren, ohne dass es einen Ausgleich gibt, und dies wirkt sich auf alle Bereiche aus.“ Die Seelsorge für Senioren werde kaum unberührt bleiben. Wer wird sich dann um die wachsende Zahl der Erkrankten kümmern?
Dass das Leben ab Juni wieder normaler wird, glaubt Zecher nicht. Menschen mit Demenz werden daher noch länger nicht jene Anregungen erhalten, die wichtig sind, um Abbauprozesse aufzuhalten. Medikamente helfen nur sehr bedingt, sagt er: „Was, durch die Präventionsforschung belegt, einen viel größeren Effekt hat, sind kontinuierliche soziale Kontakte.“ Weil die jedoch stark reduziert wurden, verschlechterte sich der Zustand einiger Erkrankter in Heimen rapide – zum Entsetzen der Angehörigen: „Denn die wurden plötzlich nicht mehr wiedererkannt.“
Kurz ohne Maske
Immerhin sind inzwischen die meisten Heimbewohner geimpft. „Doch leider erlebe ich oft wenig Engagement für Menschen mit Demenz“, bedauert er. Auch bei den Bund-Länder-Treffen spielte die Personengruppe keine große Rolle. Immerhin gibt es inzwischen „Altersgerechte Krankenhäuser“. Auch das Würzburger Uniklinikum, wo Zecher tätig ist, trägt diese Auszeichnung. Im aktuell extrem stressigen Klinikalltag lassen sich die Ideale, die damit verbunden sind, jedoch nur bedingt umsetzen.
Zecher kümmert sich besonders um Demente, die im Krankenhaus liegen. Hier muss auch der Klinikseelsorger eine Maske tragen. „Wenn ich in der Tür stehe, also drei oder vier Meter Abstand zum Patienten habe, nehme ich die jedoch für ein paar Sekunden ab, damit der Patient mein Gesicht sehen kann“, schildert er. Demenzerkrankte seien sehr stark darauf angewiesen, dass sie die Mimik ihres Gegenübers erkennen: „Nachdem sie ja verbal nicht alles verstehen.“ Im Augenblick seien freundliche Blicke „der Königsweg zum Kontakt“.
Zechers Zukunftsplan aber bleibt es, die Zahl der ehrenamtlichen Altenheim- und Klinikseelsorger in der Diözese zu erhöhen. Dies sei angesichts des sich verschärfenden Personalmangels notwendiger denn je: „Ich fürchte, dass wir fast zu spät dran sind mit unseren Bemühungen.“ Im Oktober 2016 hatte er erstmals eine Schulung für Ehrenamtliche angeboten. „Letztes Jahr im Herbst haben wir einen dritten Kurs gestartet, der allerdings nach zwei Monaten in den Lockdown musste“, erzählt er. Wolfgang Zecher hofft sehr, dass die 16 Teilnehmer heuer im Herbst ihre Praktika absolvieren können. Bis dahin bietet er zumindest jeden Monat ein Online-Treffen an.
Pat Christ